Ein wichtiger Schritt in die Professionalisierung
Generalistische Pflegeausbildung in Bethel
»Wir müssen die Pflegeausbildung neu denken! Es geht um ein völlig neues Berufsbild«, betont Diakon Thomas Kreutz, Schulleiter der Pflegeschule Nazareth in Bielefeld-Bethel. Die Einführung der Generalistischen Ausbildung ab 2020 sei eine bahnbrechende Reform in der Pflegelandschaft, ergänzt Petra Krause, Leiterin der Gesundheitsschulen im Ev. Klinikum Bethel (EvKB). Beide sehen in der Neuausrichtung eine enorme Herausforderung, aber auch eine Riesenchance für den Pflegeberuf.
Die Ausbildungen für die Kranken-, die Kinderkranken- und die Altenpflege werden ab dem nächsten Jahr in Bielefeld-Bethel nicht mehr als gesonderte Berufsabschlüsse angeboten. Stattdessen werden die Gesundheitsschulen im EvKB und die Pflegeschule Nazareth ab Frühjahr 2020 nur noch Pflegefachfrauen und -männer mit unterschiedlichen Vertiefungsschwerpunkten ausbilden.
An der Pflegeschule Nazareth wird die praktische Ausbildung zukünftig im » Vertiefungsschwerpunkt die stationäre Langzeitpflege und ambulante Akut- und Langzeitpflege mit dem Titel »Lebensweltorientierung« umfassen. »Weil die Pflege dort stattfindet, wo Menschen leben und zuhause sind«, erklärt Thomas Kreutz. Die angehenden Pflegefachfrauen und -männer ließen sich auf eine längere Beziehung ein als in einem Krankenhaus. »Sie sind ›Lebensbegleiter‹ «, fasst der Diakon zusammen. Der Schulleiter sieht in der Reform eine große Chance gerade für die Altenhilfe. »Wir kommen von einem Gefälle, denn die Altenpflegeausbildung wurde völlig ungerechtfertigt gesellschaftlich als Pflegeausbildung zweiter Klasse wahrgenommen«, kritisiert er. Durch die Generalistik begegne man sich wieder auf Augenhöhe mit der Pflege im Krankenhaus. Das werde durch die gleichen theoretischen Inhalte, den gemeinsamen Berufsabschluss und nicht zuletzt durch die gleiche Ausbildungsvergütung deutlich.
Pädiatrie bis Altenpflege
An der Pflegeschule des EvKB werde es neben dem Schwerpunkt »Akutpflege« die Möglichkeit geben, die »Pädiatrie« als Vertiefung zu wählen, so Petra Krause. Die praktische Ausbildung fände dann vermehrt im Kinderzentrum statt. »In der theoretischen Ausbildung werden alle Bereiche von der Pädiatrie bis zur Altenpflege abgebildet«, erklärt Diakon Kreutz. Die Vertiefung betrifft nur die Praxisstunden. »Von insgesamt 2.500 Praxisstunden finden 1.300 im Schwerpunktbereich statt«, erläutert er. Man wolle die Auszubildenden mit den Vertiefungen zwar prägen, aber nicht auf bestimmte Einsatzgebiete einschränken. Deshalb haben sich die beiden Ausbildungsstätten bewusst gegen die gesetzliche Kompromisslösung der Spezialisierung für Altenpflege oder Kinderkrankenpflege im dritten Lehrjahr entschieden. »Europaweit gibt es so eine Zersplitterung des Pflegeberufs wie in Deutschland so gut wie gar nicht. In anderen Ländern ist Pflege etwas Universelles «, erklärt Petra Krause, die den Beschluss des Pflegeberufegesetzes im Jahr 2017 für eine Generalistische Ausbildung begrüßt. »Warum muss man die Pflegekompetenz von vornherein separieren?«
Bevor eine Spezialisierung von Pflege stattfinde, sollte erst einmal ein Verständnis entwickelt werden, was Pflege überhaupt sei und worauf es ankomme, sind sich die beiden Schulleiter einig. Die Herausforderung wird es nun sein, herauszuarbeiten, was der Kern von Pflege ist und was den Auszubildenden an den verschiedenen Lernorten beispielhaft vermittelt werden kann. »Wir wollendie drei Berufsbilder Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege nicht einfach zusammenmischen, sondern genau hinschauen: Was sind die Gemeinsamkeiten? Was lernen die Auszubildenden exemplarisch, was können sie auf andere Bereiche übertragen?«, verdeutlicht Diakon Kreutz.
Schlüsselkompetenzen
Die Gesundheitsschulen im EvKB und die Pflegeschule Nazareth werden die neue Pflegeausbildung in enger Kooperation miteinander entwickeln. Eine abgestimmte Praxisplanung gehört ebenso dazu wie die Erarbeitung beispielhafter Lernsituationen für verschiedene pflegerische Aufgabenfelder. Das neue Pflegeberufegesetz sieht Schlüsselkompetenzen vor, die die angehenden Fachfrauen und -männer in ihrer Ausbildung erwerben. Dazu zählen kommunikative Fähigkeiten ebenso wie prozesshaftes Handeln und die Kompetenz, pflegerisches Handeln ethisch begründet zu reflektieren.
Eine weitere inhaltliche Ausgestaltung kann erst entwickelt werden, wenn der Rahmenlehrplan von der neu berufenen Fachkommission im Bund im Sommer veröffentlicht wird. »Das wird für die Schulen sportlich«, findet Petra Krause. »Eine Umsetzung der Reform neben dem regulären Ausbildungsbetrieb ist schon anspruchsvoll. Hierbei werden wir aber vom Bethel-Vorstand mit organisatorischen Ressourcen, Fachtagungen und Vernetzungen mit ›Bethel im Norden‹ und ›Berlin- Brandenburg‹ unterstützt«, so Thomas Kreutz. »Dadurch ist Bethel an allen Standorten gut aufgestellt.«
Dennoch gebe es auch in Bethel Kritikerinnen und Kritiker der neuen Pflegeausbildung. Bisher habe es durch drei Berufsabschlüsse eine hohe Identifikation mit bestimmten Bereichen gegeben, und die Angst sei groß, dass zukünftig alle fachlich weniger kompetent seien, erläutert Petra Krause. »Dabei haben wir eine Wissensexplosion und eine enorme Weiterentwicklung der Pflege«, so die Leiterin der EvKBGesundheitsschulen. Sie ist überzeugt, dass die Reform ein Gewinn für die Pflege und ein wichtiger Schritt in die Professionalisierung ist. »Pflege ist ein professioneller Beruf, kein Assistenzberuf! «
– Christina Heitkämper – (Der Ring)